Wer bist du
nachts – nachts, wenn alle anderen schlafen? Wer bist du nachts, dann wenn dich
niemand hört?
Nachts, nachts sind wir impulsiv. Nachts sind
wir wie Tiere. Nachts brauchen wir nicht viel. Nachts sind wir Minimalisten.
Nachts haben
wir keine Hemmungen mehr voreinander. Wir haben keine Angst uns zu erzählen,
was uns bewegt, wohin es uns treibt.
Nachts
beleben wir unsere Fantasie. Nachts sind wir zueinander ehrlich. Wir sind erst
dann so richtig sensibel. Alles woran wir zweifeln bezweifeln wir nachts.
Und wo sind
unsere Zweifeln, wenn die Sonne aufgeht? Wir legen unsere Maske wieder an, wenn
es hell wird. Denn tagsüber sind wir die Kleinstadtmenschen, die alles tun und
alles durchleben, wie alle anderen, und sich ihrer Meinung unterwerfen und
alles teilen mit ALLEN, mit ALLEN anderen.
Doch wer
sind wir nachts? Nachts, wenn wir den Text unseres Lebens schreiben wollen.
Nachts, wenn wir weinen voller Traurigkeit. Und wir schreiben den Text unseres
Lebens, vollgepackt mit Melancholie.
Und alles was
wir haben sind Bücher und Kunst und Flaschen voller Wein. Wir sind wie
Philosophen so frei und allein. Wir haben unsere Stadt, wir haben unsere Lieder.
Wir haben unsere Nacht und verändern uns immer wieder. Wir plädieren für mehr
Endorphine, wir plädieren für unser Leben. Wir warten bis wir uns nachts zum
ersten Mal wieder regen.
Wir werden
noch 1000 Jahre so weiter machen, wenn wir nicht auch im echten Leben erkennen,
dass die Zeit, die uns bleibt, beginnt für immer wegzurennen. Und wir warten
und warten, denn wir gehen nur nach unserem Kopf, nicht nach unserem Herzen.
Uns ist nur wichtig, dass wir gut dastehen.
Aber nachts
– nachts beginnen wir zu erzählen. Du beschreibst mir deine Geschichte mit Leib
und Seele. Und ich erzähl dir meine. Ich will jedes Detail von dir jetzt erfahren,
denn ich will wissen wer du bist, wenn die anderen schlafen.
Ich will
wissen wer du bist, will jeden Teil davon berühren. Ich will wissen wer ich
bin, will jeden Teil von mir spüren. Ich will raus aus diesem Käfig, denn ich
bin sonst für immer hier gefangen. Lauf mit mir weg. Hau mit mir ab.
Ich will weg
von diesem Ort. Ich will weg von allem hier. Doch es zieht mich immer wieder
zurück, warum lässt sie mich immer wieder los? Wo ist sie, wenn ich sie
brauche? Wo ist meine Nacht?
Und ich
tippe im Rhythmus. Ich tippe mit jedem Atemzug. Ich schreibe den Text meines
Lebens. Für mich.
Ich brauche
nicht mehr euren Anschub, denn ich warte nur mehr auf dich. Ich warte nur mehr
auf ein „wir“. Ich warte darauf, dass wir alle Monster zusammen bekämpfen. Ich
warte darauf, dass wir zusammen fliegen. Ich warte, ich warte, aber ich will es
auch endlich mal machen.
Ich bin wie
in Trance. Ich bin gar nicht mehr ich. Ich fühl mich so leer. Wo bin ich hier?
Ich bin hier
in der Nacht. Denn für mich gibt es nur die Nacht.
Und die
einzige philosophische Frage, die ich mir wirklich jeden Tag stelle ist: Wer?
WER sind wir nachts, wenn alle anderen schlafen?
Und manchmal
vergesse ich den Sinn des Lebens, und muss nochmal anfangen Jack Kerouac zu
lesen. Und ich werde daran erinnert, es gibt noch mehr Menschen wie mich. Nur
wo? Wo auf der Welt?
Und dann
fühl ich mich wieder einsam, dann fühl ich mich wieder so allein. Doch das
Leben lehrt dir als allererstes eines – sei doch mal allein.
Und
irgendwann frisst der Konsum auch meine eigenen 35 Quadratmeter auf, in denen
ich immer wieder nach Dingen gesucht habe; in denen ich immer wieder nach mir
selbst gesucht habe. Und irgendwann beherrscht sogar das letzte Stück Plastik
diese Welt, und wir sterben alle, an den Taten unserer selbst.
Und genau
dann, dann warte ich auf dich, nachts.
Und wer sind
wir nachts, wenn alle anderen ahnungslos ihren Tag im Schlaf verarbeiten? Wir
beginnen unseren Tag erst dann. Wer sind wir dann, wenn alle anderen zuschauen,
wie die Welt in sich zusammenstürzt? WER? WER SIND WIR DANN?
Und du analysierst
erschüttert die IKEA Verkaufsphilosophie. Du erstellst ein Profil von jedem
Möbelstück deines Zuhauses, während ich durch den Regen tanze, voller Unbeschwertheit.
Und du glaubst noch immer, du bist etwas Besonderes. Aber du bist austauschbar.
Alles auf der Welt ist austauschbar.
Und manchmal
wünsch ich mir einen zweiten Planeten, zu dem ich fliehen kann, wann auch immer
ich dazu das Bedürfnis verspüre. Denn werdet erwachsen! Aber ich will nie
erwachsen werden.
Und die
einzige, die mich verstehen kann, wenn meine Lichterkette über meinem Bett im Dunkeln
leuchtet, ist die Nacht. Und dann frage ich dich, wer bist du dann nachts, wenn
alle anderen schlafen?

